Reisebericht Adventsingen in Prag 2009

Prag 2009 Konzertreise - Veitsdom

Von 1000 Türmen und Tunnelbaustellen:

Der Philharmonische Chor auf Chorreise in Prag

Von Barbara Sterner


Prag – das war das Ziel der diesjährigen Chorreise des Philharmonischen Chors Schwäbisch Gmünd. Der Chor unter Leitung von Stephan Beck konzertierte mit anderen europäischen Chören und gestaltete einen Gottesdienst musikalisch. Daneben entdeckten die Gmünder Sängerinnen und Sänger die „goldene Stadt“ in ihrem vorweihnachtlichen Flair. Ein Reisebericht.

(Gmünd). Gmünd, Haußmannstraße. Es regnet in Strömen. Die Tropfen perlen von den Busfenstern ab. „Alle da?“ fragt Hermann Karg, unser chorinterner Reiseorganisator. „Ja!“ schallt es zurück. Busfahrer Markus legt den Gang ein und lenkt den Bus in Richtung Stadtausgang. Wir passieren Bargau, Heubach, Aalen. Die Chorreise hat begonnen. Sie führt uns nach Prag zum Internationalen Adventssingen. Dort werden wir mit Chören aus verschiedenen Ländern auftreten und einen Gottesdienst musikalisch gestalten. Die Reise begleiten auch Martin Grübl, der Vorsitzende des Freundeskreises des Philharmonischen Chors, und seine Frau Franziska.

Nach sieben Stunden Fahrt erreichen wir die tschechische Hauptstadt. Draußen ist es Nacht geworden. Beim Weg durch die Stadt taucht plötzlich rechts von uns eine große Baustelle auf. Sie ist hell beleuchtet, es ist eine Tiefbaustelle, viele Meter breit, ein großes Loch. Dort wird eine U-Bahn gebaut. Die Szene wirkt vertraut. Sie erinnert an die Tunnel-baustelle in Gmünd. Wir fühlen uns fast wie zu Hause… Dann ein letzter Tunnel, wir über-queren die Moldau und haben einen Blick auf das abendlich beleuchtete Prag. An der Uferpromenade strahlen hell beleuchtete Gebäude unterschiedlicher Stilrichtungen und Bauzeiten: Klassizistische, gotische, barocke, moderne. Vor uns taucht eine breite Straße mit Weihnachtsbeleuchtung auf. Sie hat die Form von Schneeflocken; das erste Anzeichen für die vorweihnachtliche Stimmung in der Stadt. Ein Höhepunkt ist der Weihnachtsmarkt am Altstädterring mit einem viele Meter hohen und Tag und Nacht beleuchteten Tannenbaum. Auf dem adventlichen Markt duftet es nach gerösteten Maronen und frisch gebackenen „Tradlo“, also in Zucker gewendeten Hefeteigrollen.

Eine unserer Reiseleiterinnen heißt Erika Kafka. Wie passend. Denn der Schriftsteller Franz Kafka lebte einst in Prag. „Nein, ich bin nicht mit Kafka verwandt!“ nimmt sie gleich zu Beginn jegliche Spekulation vorweg. Nach dem Abendessen entführen sie und ihre Kollegin Katharina uns zu einem abendlichen Spaziergang vom Restaurant zum Hotel. Wir stehen bald vor der größten Burg der Welt: der Prager Burg. Sie liegt auf einer Anhöhe über der Stadt. Von ihr aus blicken wir auf die Stadt herab. „Wahnsinn!“ entfährt es Einigen. Andere stehen einfach da und genießen. Denn der Blick ist atemberaubend: Unzählige beleuchtete Gebäude strahlen und verwandeln die Stadt in einen Lichterteppich. Katharina, unsere zweite Reiseführerin, lenkt unseren Blick nach oben: Auf einem Dach der Prager Burg weht eine Fahne. Das ist das Zeichen, dass der tschechische Präsident im Land ist. Müde aber erfüllt von dem Abendspaziergang geht für uns der erste Tag der Reise zur Neige.

Der nächste Tag steht ganz im Zeichen des Gesangs: Am Vormittag proben wir in der Kirche mit dem wunderschönen Namen „Kostel Pani Marie Sněžné“, zu deutsch „Maria im Schnee“. Wir werden dort am darauf folgenden Tag einen Gottesdienst musikalisch gestalten. Der Name der Kirche kommt von einer Legende: Maria habe es mitten im Sommer auf den Platz schneien lassen, um dort den Standort der zukünftigen Kirche anzuzeigen. Das Gottes-haus aus dem 14. Jahrhundert ist mit 35 Metern die höchste Kirche Prags – jedoch nur etwa zwei Drittel mal so hoch wie das Gmünder Münster. „Maria im Schnee“ sollte ursprünglich selbst den Prager Veitsdom an Größe übertreffen. Kriegerische Auseinandersetzungen führten jedoch zum Stillstand des Baus.

Nach der Probe und einer Verschnaufpause nähern wir uns dem ersten musikalischen Höhepunkt unserer Reise: Dem Freundschaftskonzert mit drei weiteren Chören. Es findet in der Akademie der Musischen Künste statt, in einem wunderschönen klassizistischen Saal. Eine Orgel füllt fast die gesamte Stirnseite des Raumes aus.

2009 Prag - Freundschaftskonzert HAMU

Neben dem Philharmonischen Chor treten ein niederländischer, ein slowakischer und ein polnischer Chor beim Konzert auf. Bald ist es soweit: Wir steigen die Stufen hoch zur Bühne und stellen uns auf. Hubert Beck begleitet den Philharmonischen Chor an der Orgel. Ein letzter Blickaustausch, dann geht es los. Andreas Hammerschmidts „Machet die Tore weit“ eröffnet, gefolgt von Mozarts cantablem „Laudate Dominum“. Die Solopartie übernimmt die Sopranistin Anna Escala. Diese unterrichtet seit März dieses Jahres die Chormitglieder in Stimmbildung. Im „Macht hoch die Tür“ des Kantors der Londoner Westminster Abbey, Colin Mawby, sowie im a cappella vorgetragenen „Maria durch ein Dornenwald ging“ in einem Satz von Heinrich Kaminski, schwingt das adventliche Erwarten mit.

Zufrieden machen wir uns nach dem gelungenen Konzert auf den Weg zu einer Stadt-führung. Bei dieser erfahren wir unter Anderem, dass Prag die „Goldene Stadt“ heißt wegen der goldenen Fahnen und Kugeln auf den über 1200 Türmen und Türmchen. Diese leuchten bei Sonnenschein, wenn man von oben auf sie herabschaut.

Der Abend klingt für viele von uns aus in einem Restaurant in einem typischen Kellergewölbe Prags: Diese waren ursprünglich normale Häuser. Wegen Überschwemmungs-gefahr wurde das Niveau der Stadt angehoben, so dass die Häuser zu Kellern wurden. Im Laufe des Abends kommt es zu lustigen Situationen: So wird ein bestellter „Rotwein“ als „hot wine“ verstanden und serviert, was uns noch mal bewusst macht, dass wir in einem fremdsprachigen Land sind.

Sonntagmorgen. Beim Blick aus dem Frühstücksraum merken wir es: Es hat geschneit! Es ist für viele von uns der erste Schnee, den wir in diesem Jahr sehen. Wir eilen zu Fuß zur Kirche „Maria im Schnee“ und erklimmen die kleine Wendeltreppe zur Empore. Weihrauchduft steigt in die Nase. Hubert Beck begleitet wieder an der Orgel. Wir werden eine lateinische Messe von Józef Świder singen, einem zeitgenössischen polnischen Komponisten. Das Orgelspiel setzt ein, der Gottesdienst beginnt. „Heute erklingen nicht nur geistliche Gesänge, sondern wir mögen ein Herz und eine Seele sein!“, begrüßt uns Pater Dabrowski auf Deutsch. Der Rest der Messe ist auf Tschechisch. Ich verstehe nichts. Wobei das gar nicht so schlecht ist. Das lässt Raum dafür, sich umso mehr auf die Stimmung und Melodien der fast meditativ anmuten-den Antwortgesänge einzulassen. Plötzlich kommt mir die Tonmelodie des Paters vertraut vor: Wir sind beim Hochgebet angelangt. „Dona nobis pacem!“ schließen wir das Agnus Dei. Der Schlussakkord der Orgel verklingt. Beim Psalm „Hör mein Bitten“ von Felix Mendelssohn Bartholdy singt Anna Escala das Solo. Ihre Stimme füllt den Kirchenraum. „Gott, hör mein Fleh’n!“ Dramatisch intoniert Escala die Solopartie des suchenden Gläubigen. Als wir nach dem Gottesdienst aus der Kirche treten, fallen sanft Schneeflocken.

Am Pfarrhaus erwartet uns eine Überraschung: Pater Dabrowski lädt uns zu einem Stamperl selbst gebranntem Pflaumenschnaps und Kaffee ein. Die unerwartete Geste berührt mich. Wir stoßen auf die nette Begegnung an. Plötzlich fragt er uns: „Wollt Ihr unsere Barockbibliothek sehen?“ Wir nicken gespannt. Er zieht einen Schlüssel aus der Tasche und geht voran. Wir folgen ihm, neugierig, was uns wohl erwarten wird. Die Tür geht auf. Wir blicken sprachlos auf einen wunderschönen langgezogenen Raum mit kreuzgebauten Deckengewölben. An den Wänden stehen Regale, dunkle Buchrücken füllen die Regalbretter. Der Pater zeigt uns ein großes, nietenbeschlagenes Buch. „Dieses Manuskript ist aus dem 15. Jahrhundert!“ erklärt er stolz. Wir sind sprachlos, streichen vorsichtig über das Pergament mit den Notenzeilen und den bunten Verzierungen. Wieder eine Perle auf dieser Pragreise.

2009 Prag - Bibliothek Kloster Maria im Schnee

Eine Stadtführung durch das Judenviertel und die Prager Burg bringt uns Prag noch näher. Eindrucksvoll ist der Alte Jüdische Friedhof und die spanische Synagoge, sehr berührend das Jüdische Museum mit etwa 80.000 Namen von tschechischen jüdischen Bürgern, die im Holocaust starben. Diese stehen auf den Museumswänden geschrieben. Nach dem Besuch machen wir uns nachdenklich auf den Weg in Richtung Altstädterring.

Mit einem Mittagessen mit Blick auf den Weihnachtsmarkt nähern wir uns dem Ende unserer Zeit in Prag. Schnell gebe ich noch auf dem Markt meine letzten Kronen für die typischen Vanilleoblaten aus. Dann nehmen wir Abschied von Prag. Im Bus noch ein letzter Blick auf Prag, wir überqueren die Moldau. Auf der Heimfahrt ist Zeit, sich auszutauschen, Karten zu spielen oder ein Nickerchen zu machen. Abends kommen wir wohlbehalten in der Haußmannstraße an. Eine ereignisreiche Fahrt geht zu Ende, mit viel Chorarbeit, Chorgemeinschaft und der Entdeckung vieler Ecken und Ansichten von Prag. Und wie ist das Fazit der Reise? Eine Mitsängerin spricht uns aus dem Herzen. Sie meint: „Es war einfach subba!“