Weihnachtsoratorium von C.H. Graun und Magnifikat von J.S. Bach
Majestätisch packend und voluminös nachklingend
Der Philharmonische Chor Schwäbisch Gmünd führte das Weihnachtsoratorium von Carl Heinrich Graun und Bachs Magnifikat im Heilig-Kreuz-Münster auf.
Was für eine wunderbare Übereinstimmung, wenn alle vom Dirigenten genommenen Tempi auch die idealen des Rezensenten sind. Stephan Beck, der spiritus rector des Philharmonischen Chores Schwäbisch Gmünd, bleibt sich treu als hochsensibler Künstler, der seine Funktion als Exeget der Musik sehr ernst nimmt.
Kritik von -Peter Skobowsky, Rems Zeitung vom 14.12.2010
Erst vor vierzehn Tagen mit einem höchst anspruchsvollen Orgelbenefizkonzert, nun mit zwei großen Werken der Advents- und Weihnachtszeit, nachdem der Philharmonische Chor erst im Sommer während der EKM mit Mozarts c-Moll-Messe aufgetreten war - da ist die Zeit voll ausgekauft.
Die Gmünder Tradition des Bachschen „Weihnachtsoratoriums“ inspirierte zur Aufführung des analogen Werkes seines Zeitgenossen Carl Heinrich Graun – ein beachtenswerter Vergleich inhaltlich als auch stilistisch. Bei Graun spürt man den „gelernten“ Sänger: Alles ist cantabel angelegt; die schlichten, aber nicht minder wirkungsvollen Fugen erinnern an die elementare Kraft Händels. Der „empfindsame Stil“ lässt auch das Orchester förmlich singen. Und wie wunderschön pariert die Sinfonietta Tübingen als traditionelles Partner Orchester den stets kammermusikalischen Duktus, der durchsichtig strukturiert und die Nuancen hörbar macht trotz des akustischen Klapperns der bekannt heiklen Münster Akustik in raschen Bewegungsfolgen. Dass sechs Werknummern gestrichen wurden, mag man bedauern. Vielleicht waren sie der Ökonomie bzw. Stringenz der Aufführung geschuldet?
Bachs „Magnifikat“ (in der gestrafften Fassung ohne Choralsatz-Einschübe) bildete den Gegenpol zu Graun – eine kluge Entscheidung, sowohl inhaltlich-theologisch als auch stilistisch, bei Bach die gewohnte überschäumende Polyphonie einer zumeist chorischen Fünfstimmigkeit (geteilter Sopran). In Bezug auf die deutende Vermittlung ergänzten sich beide Werke kongenial, ganz gleich, ob die Dichtung bei Graun noch dem Geschmack der Gegenwart korreliert. An Ausdruckstiefe jedenfalls setzte die Intention Stephan Becks wieder einmal Maßstäbe.
Der Philharmonische Chor präsentierte sich gekonnt, sicher, die Themen der Kontrapunkte hoben sich bei guter Artikulation klar von begleitenden Phrasen ab. Dynamische Disziplin war das bewusste Pendant zur Durchsichtigkeit des Orchesters. Gemütstiefe prägte die unterschiedlichen Charaktere. Man spürte die permanente Freude am Musizierens.
Die Sinfonietta begleitete gediegen wie gewohnt. Besonders schön war der warme Melodiefluss von Oboe d’amore und Flöten. Die vielen jungen Musici bezauberten ob der spürbaren Hingabe ihres Ausdrucks.
Der Orgelcontinuo (Sung-Nam Cho) war zu brav, kaum mehr als gedeckter Achtfuß. Wer die Kolorierungskunst einer Hedwig Bilgram, eines Ton Koopmann oder des in Gmünd bestens bekannten Hansjörg Albrecht im Ohr hat, musste deren Kreativität vermissen (mindestens statt des Tasto-solo-Spiels zu Beginn und am Ende der Bass-Arie „Quia fecit mihi magna“). Dabei belebt solcher Wettstreit der obligaten und improvisierten Farben ungemein.
Die Solisten waren zwischen Orchester und Chor platziert, was dem synchronen Musizieren gut tat, aber der Präsenz an einigen Stellen schadete, etwa in den tiefen Alt- und Basspassagen.
Anna Escala betörte mit ihrer lyrischen Soubrette, schlank bis in extreme Höhen. Kathrin Kochs Alt trägt schön, ist aber in der Tiefe zu wenig schwarz, leider immer wieder wehtuend detonierend (auch im „Anschleifen“ der Töne). Mit dem lyrischen Tenor Bernhard Berchtold hatte der Dirigent einen Glücksfall beschert: Wunderbar, wie gediegen, homogen und jugendlich frisch der Künstler seinen Pat gestaltete. Auch seine zurückhaltende Anpassungsfähigkeit im Duett mit dem Alt („Et misericordia“) fiel wohltuend auf. Schließlich sang Teru Yoshihara einen gut distinguierten Charakterbass, der den Ton seiner Beiträge genau traf. Bärbel Junker, Chorsolistin im Sopran, ergänzte gelungen zum Terzett „Suscepit Israel“.
Das strahlende D-Dur des „Gloria Patri“ ergoss sich majestätisch packend und voluminös nachklingend in den Raum des Gotteshauses. Reicher Beifall dankte den engagierten Mitwirkenden für eine schöne Leistung im Dienste der musica sacra.
Im barockem Stimmenglanz
Der Philharmonische Chor verschenkt im Heilig-Kreuz-Münster in Gmünd die Perlen der Barockmusik
Mitten in der langen Gmünder Einkaufsnacht gingen die Freunde des Philharmonischen Chors und weihnachtlicher Musik ins Münster, um sich etwas Besonders zu gönnen: Johann Sebastian Bach und sein damals sehr populärer Zeitgenosse Carl Heinrich Graun bescherten die Festtagsgefühle, die inzwischen oft zu kurz kommen. Die Bescherung war eine harmonische, beglückende.
HANNA MEID
Ein gelungenes Konzert ist immer ein Ganzes. Natürlich für den Dirigenten, Stephan Beck, der alle Fäden in der Hand hält, der die Stimmungen erspürt und seine Interpretation perfekt wissen will. Für den Chor, der, selbst wenn er zumindest bei Graun nur im Ansatz seines Möglichen gefordert war, doch für das Ganze steht.
Das Orchester, die Sinfonietta Tübingen, hat so viel Erfahrung gerade im Barock-Repertoire, dass sie, mit einzelnen Instrumentengruppen brillierend der Intention der Komponisten vollends gerecht wurde. Schließlich die Solisten, ausgewogen in ihrem Anspruch und Auftrag, klanglich perfekt aufeinander abgestimmt. Gerade sie forderte das Weihnachtsoratorium von Carl Heinrich Graun besonders.
Nach dem Chor „Mache Dich auf, werde Licht“ übernahm die Altistin Kathrin Koch mit einer Da-capo-Arie einen schier nicht enden wollenden Part. Es folgten Rezitative, länger und bewegter als bei Bach, ausdrucksstarke, wortmalende Arien für Sopran, Tenor und Bass. Oft kontrastreich in sich selbst, ganz dem Text folgend, der sich nur partiell an das Lukasevangelium anlehnt, sondern Meditationen und Dialoge einbindet. Unübertroffen die Sopranarie „Zeit und Stunde sind erfüllt“, in der Anna Escala ihre transparente, ohne jede Anstrengung jubilierende, zart-bewegte Stimme lächelnd verschenkte. Die Töne schienen mit dem Kirchenraum zu verschmelzen. Kräftig und rund, warm und elastisch ist der Alt von Kathrin Koch. Der Tenor Bernhard Berchtold und der aus Japan stammende Bass Teru Yoshihara, der einen Lehrauftrag in Stuttgart hat, überzeugten in selten so gehörter Harmonie beispielsweise im Rezitativ „Und die Hirten kamen eilends“ oder später im Alt-Tenor-Duett des Magnificats von Bach.
Interessant der Vergleich vom eher da capo, leicht langatmig geprägten Graun zum stringenten, teils verinnerlichten, teils explosiven Bach. Stephan Beck arbeitete die Tempi exakt heraus, ließ Chor und Orchester strahlen, wo es der Text forderte und nahm die Betonungen so, dass sie nie zu viel Gewicht, aber dennoch Tragkraft hatten. So wirkte die Bassarie „Quia fecit mihi magna“ leicht, obwohl die Celli die Tiefe forderten und auch gaben.
Faszinierend sind im Magnifikat die überraschenden Choreinsätze, die den Text der lyrischen Sopranarie vervollständigen. Die Fünfstimmigkeit wirkte in den fugalen Teilen reich, strahlender Glanz breitete sich aus, um in einem schnörkellosen finalen Amen zu enden. Stolz, das darf man wohl sagen, war der Chor insbesondere auf die Ovationen für die Sopranistin, denn Anna Escala unterrichtet nicht nur an der PH, sondern ist auch die Stimmbildnerin des Philharmonischen Chores.