Cherubini - Rossini

Beschenkt mit himmlischen Klängen

Von wegen opernhaft: Der Philharmonische Chor sang im Heilig-Kreuz-Münster Rossinis "Stabat Mater"


Kritik von Peter Skobowsky
Artikel in der Rems Zeitung vom 31.10.2011
Auch unter der Leitung von Stephan Beck setzt der Philharmonische Chor die von seinem Vater begründete Tradition fort, neben bekannter Chorsinfonik auch immer wieder ganz Neues zu präsentieren.

Zusammen mit der Sinfonietta Tübingen, die erst vor dreizehn Tagen in Plüderhausen bei einem Mendelssohn-Mozart-Konzert glänzte, gab es von Luigi Cherubini „Sciant Gentes“ und von Gioacchino Antonio Rossini das „Stabat mater dolorosa.“

Das erste Werk scheint seine deutsche Erstaufführung erlebt zu haben – sind doch die Noten noch nicht lange auf dem Markt. Schon das allein ist ein nicht zu unterschätzendes Verdienst Stephan Becks. Wer erinnert sich nicht an die vor Jahren erlebte Aufführung des „Requiems“ von Franz von Suppé durch KMD Hubert Beck? Nichts also mit den sattsam populären Klischees, dass Rossinis kompositorische Annäherung an die schmerzensreiche Mutter Maria bloß typisch opernhaft sei. Das katholische „Sowohl – als auch (et– et)“, noch dazu in italienisch überschwänglichem Charme - hat eine erfrischende Offenheit und führt zu verblüffender Authentizität, gepaart mit einer Ideenvielfalt sondergleichen und einer Aufgabenzuweisung, die von spektakulär eindringlichen Soli, der Parallelität des Soloquartetts zum Chor, zu intonatorisch heiklen Modulationen durch den Quintenzirkel, zwei A-cappella-Nummern, einem enormen Stimmumfang bei Chor und Soli (über zwei Oktaven) führt. Die opernhaften Stilmittel deuten vorzüglich, verlangen geradezu einen naiven Mitvollzug beim Zuhören, beschenken aber dafür mit geradezu himmlischen Klängen! Cherubinis Psalmvertonung von Graduale und Tractus des 2. Fastensonntags, erst mit 62 Jahren komponiert, ist mit ihrer nur 12-minütigen Aufführungsdauer ein dichtes Werk, dankbar für die Ausführenden und ein ästhetischer Genuss.

Dass beide italienischen Komponisten in Frankreich wirkten, ist eher ein Zufall, bereicherte aber die Musikszene vielfältig. Interessant ist gleichfalls, dass der Carus-Verlag empfiehlt, beide Werke in einem Konzert aufzuführen – eine logisch einsichtige Konsequenz: Leiden(szeit) in unterschiedlicher Betrachtung: originell und keineswegs oberflächlich. Kleinbürgerliche Vorurteile fallen in sich zusammen. Das voll besetzte Heilig-Kreuz-Münster war ein schönes Zeichen dafür, dass die große Hörergemeinde für dieses Erlebnis dankbar war.

Der Philharmonische Chor und sein immer wieder mitwirkende „Juniorpartner“, der Chor der Pädagogischen Hochschule, ergänzten einander ausgezeichnet. Stephan Beck versteht es eben, in seiner gewinnenden Art zu solcher Kooperation zu verlocken. Und er gehört zu jenen Dirigenten, die nicht aufgrund ihres Etabliertseins schlagtechnisch abheben. Nein, der klare Gestus in angemessener Größe und motivierenden Präzision markierte als Anforderung Stephan Becks die vollkommene Einheit von Handwerk und Ästhetik.

Dass die zweite A-cappella-Nummer durch je zwei Klarinetten und Fagotte colla parte gestützt wurde, zeugt von der Klugheit des sensiblen Dirigenten, dem Intonationsreinheit wichtiger ist als die Erfüllung einer formalen Vorgabe mit dem Effekt, dass Intonationstrübungen schmerzen. Die Sicherheit des Chores bis in extremste Tempi, die dynamische Flexibilität und die Schönheit des Ausdrucks sind die hörbaren Kriterien gewissenhafter Vorbereitung.

Die Sinfonietta als Dauerpartner erwies sich auch diesmal als exzellentes Orchester, nur selten die Vokallinien überdeckend, dafür aber umso klangschöner (wunderbares Piano, auch con sordino der Streicher, das Strömen des Holzes und die markanten Akzente von Blech und vorzüglichen Pauken).

Bei Becks, Vater und Sohn, war die glückliche Hand bei der Solistenwahl stets spürbar. Wenn z. B. zwei Soprane bei Rossini vorgesehen sind, geht es weniger um Höhe als um Stimmfarbe. Und so ergänzten sich Mirella Hagen (Sopran) und Sonja Koppelhuber („schwarzer“ Mezzosopran) ganz charakteristisch. Der Heldentenor Joaquin Asiain nutze seine Chance und verweilte in seiner tollen Kadenz auf dem exponierten des2 – ein sagenhafter Effekt von affektiver Wirkung. Und der Bassist Eric Fergusson wurde allen Ansprüchen an distinguierte Interpretation mehr als gerecht. Prächtig sein Stimmumfang, ohne zu forcieren. Deshalb auch nicht das vorgeschriebene große Es, sondern – dafür angenehm hörbar – das kleine! Die Stimmkreuzungen der Linien, das geniale Fugato samt pointiertem Amen bei anziehendem Tempo – alles ein höchst sensible Dramatik, die mit reichem Beifall bedacht wurde. Nur die Blumen hatte man vergessen.

 



Belcanto für die Mater Dolorosa


Philharmonischer Chor

Wer sich auf Gioacchino Rossinis bekanntes „Stabat Mater“ einlässt, muss mit Extremen rechnen. Spannend war die Einstudierung durch Stephan Beck mit dem Philharmonischen Chor und dem Chor der Pädagogischen Hochschule Schwäbisch Gmünd sicher. Die Sinfonietta Tübingen und vier ausgezeichnete Solisten formten ein Werk, das zwischen Oper und Fuge schwebt. Zurückhaltend nahm sich dabei Cherubinis selten aufgeführtes „Sciant gentes“ aus.

Kritik in der Gmünder Tagespost vom 01.11.2011 von Hanna Meid


Es war eine interessante Verbindung, die Beck mit der Auswahl der Werke getroffen hatte: Beide entstanden mit zwei Jahren Abstand 1829 und 1831, wobei Rossini weitere zehn Jahre an der eigenen Ausarbeitung des Stabat Mater arbeitete. Die dreisätzige symphonische Motette, die textlich der Vorbereitung auf Ostern dient, fordert das Orchester in großer Dynamik und weitgespannten Melodienbögen. Soli und Chor rahmen eine Bass-Arie ein, wobei sie in einen Dialog treten, mal hymnisch, mal treibend und im Chorsatz mit den Worten „Schenk Rettung Deinen Auserwählten“ auch sphärisch klingen. Der Philharmonische Chor fühlte sich in diesem Werk hörbar wohl. Zu schön, zu lieblich für den traurigen Text der Muttergefühle unter dem Kreuz urteilten deutsche Kritiker nach der Uraufführung 1842 über das ‘Stabat Mater’. In Italien und Frankreich hingegen brachen Begeisterungsstürme aus. Rossini, der seit 1829 keine Opern mehr schrieb, blieb ihr bei den geistlichen Werken dennoch verhaftet. Witz und Leichtigkeit wird ihm dabei nachgesagt und dies spürt man. Denn an nur wenigen Stellen lassen sich die Texte wirklich musikalisch interpretieren. Der vielseitige, hinreißende und auch überraschende Hörgenuss fällt dem Publikum allerdings nur dann leicht, wenn es auf die deutsche Übersetzung des Textes ganz verzichtet. Klassisch weich beginnt das Vorspiel, der Choreinstieg fugal. Die eingestreuten barocken Motivfolgen nehmen aber meist eine ungewohnte Wendung.

Sauber und rhythmisch akzentuiert präsentiert sich das Klangbild der 70 Sängerinnen und Sänger, beeindruckend schlicht und prägnant der A-cappella-Chor, opernhaft dramatisch das Finale „In sempiterna saecula“. Emotionen auch im Orchester vom zarten Pizzicato bis zur Schwere der Pauken und Bläser, großartig die Hörner, ein ständiges Auf und Ab mit formalen und motivischen Verflechtungen, furiose Crescendi.

Bei beiden Werken traten die jungen Solistinnen Mirella Hagen (Sopran) und Sonja Koppelhuber (Mezzosopran) sowie der Tenor Joaquin Asiain und Eric Fergusson (Bass) souverän hervor. Die beiden Frauenstimmen harmonierten exzellent in Ausdruck und Klangfarbe. Der Tenor arbeitete sich mühelos und klar im Stil des „Tenor di Grazia“ zum hohen ‘Des’ hoch. Mal forsch mal lieblich lyrisch verstand der Bass seinen Part in den Soli und mit dem Chor zu variieren. So gesehen wird man die schweren Tränentropfen der Schmerzensmutter, der Anblick von Pein und Leid aber auch die verbindende Liebe und die Hoffnung auf das Gnadenlicht musikalisch gefühlt haben - womöglich im Stil eines opernhaft überdrehten Rossini.