Johannes Brahms - Ein deutsches Requiem


Kritik Remszeitung vom 03.04.2012


Dem Trost tiefen Ausdruck geben


Im Programmheft hatte Rudolf Böhmler ein Memento an den Träger des Gedenkkonzerts verfasst, in dem die Persönlichkeit und das Wirken des am 29. Mai 2011 verstorbenen Kirchenmusikdirektors Hubert Beck eindrucksvoll geschildert wurde.

Von Peter Skobowsky

KONZERT. Ganz gegen die urbanen Üblichkeiten galt der Prophet in der eigenen Vaterstadt etwas. Das gereicht der Stauferstadt ebenso zur Ehre wie dem bedeutenden Künstler selbst, der Generationen in der musikalischen Praxis und Ausbildung nachhaltig geprägt hat.

Der zweite Glücksfall ist, dass Hubert Becks Sohn Stephan in die Fußstapfen seines Vaters trat, nicht epigonenhaft, sondern mit der ihm eigenen persönlichen Ausstrahlung und genau jenem Können, welches das Erbe nicht fossil als Asche bewahrt, sondern das Feuer weiterträgt. Mit dem ihm eigenen Charme gewinnt er Musizierende wie Hörer gleichermaßen. Nur so kann Kunst lebendig werden, nur so kann der Künstler die Herzen öffnen für die mehrfache Botschaft seines Wirkens. Der dritte Glücksfall, dass das Heilig-​Kreuz-​Münster in Stephan Beck den kompetenten Nachfolger in der Kirchengemeinde sowie im Direktorium des Festivals Europäische Kirchenmusik Schwäbisch Gmünd hat. Kein Wunder also, dass alles, was Rang und Namen hat, zu diesem Konzert gekommen war.
Schließlich: der vierte Glücksfall, dass Brahms’ „Ein deutsches Requiem“ op. 45 zum Gedenken an Hubert Beck aufgeführt wurde — ein Werk, das er so sehr geliebt hatte. Es lag eine hohe Erwartung über dem Gedenken.
In der Rezeption des großartigen Werkes wird stets darauf insistiert, dass es gar nicht um ein Requiem im eigentlichen Sinne ginge und dass der Komponist als unorthodoxer Lutheraner gar nicht den Tod betone, sondern für die Lebenden schreibe. Deshalb auch keine Texte der Liturgie.
Auch die Tradierung solcher Setzungen macht das Ganze nicht „wahrer“. Liturgie ohne Affinität zur oder Zitation der Schrift offenbart eher das grundsätzliche Missverständnis als Verharren im äußerlich Festzumachenden. Wie aber wird dann die äußerst gründliche Bibelkenntnis des Komponisten bewertet? Und selbst, wenn man man der Behauptung Glauben schenken dürfte, dass Brahms Beziehungen zu Okkultismus und Spiritismus hatte: Gott malt auch auf krummen Zeilen grade. Will sagen: Entscheidend ist die direkte Wirkung auf die Hörer. Und da fällt alle Akribie von Hirnschmalz in sich zusammen. Ob nun das Requiem lateinischer Tradition oder Brahms’ alternativer Zugang: Beides ist geerdet an der (gläubigen?!) Lebenserfahrung nicht nur des Einzelnen, sondern ganzer Generationen.

In diesem Licht betrachtet, spricht das wunderbare Brahmssche Requiem aus und durch sich selbst. Dies der großen Hörergemeinde im voll besetzten Heilig-​Kreuz-​Münster nahegebracht zu haben, ist das demütige Verdienst des jungen Dirigenten. Man spürte, dass es nicht um bloß akademische, sondern ganz persönliche Annäherung an die Partitur ging — Kriterium doppelter Authentizität. Die atemlose Stille der Zuhörer, der Verzicht auf Beifall zu Beginn des leidenschaftlichen Konzerts und die Grundhaltung, den Chor aus dem Piano heraus zu gestalten, belegten dies hinreichend. Es war einfach wohltuend, dem Trost einen stets tiefen Ausdruck zu verleihen. Zugleich wurde hörbar, dass die kammermusikalische Fassung (in der EKM 2011 mit zwei Klavieren) bei fast permanent großer Dirigiergestik dies eben nicht ebenbürtig erreicht.
Die hellwache Präsenz bei Dirigent, Chor, Solisten und Orchester stand ganz im Dienst der Verkündigung. Das ging unter die Haut und zeugte eine Ergriffenheit, die 80 Minuten lang trug.
Der Philharmonische Chor löste alle Vorgaben sensibel ein. Wie schön die Homogenität gelang. Der große Bogen mit innerem Strahlen, das natürlich in den Entwicklungen zu einem kraftvollen wuchs, war nur folgerichtig, die Klangmischung vorzüglich. Die heikle Intonation fand angesichts des hohen Kraftaufwands gelegentlich Grenzen, die marginal blieben. Insgesamt beglückte das Strömen des Chores in allen Teilen.
Die Solisten taten ein Übriges. Von ihnen wird sofortiges Dasein verlangt: „ohne Netz und doppelten Boden“ — zugleich eine sensible Korrespondenz mit dem Chor.

Traumhaft, berührend und betörend sang sich Kirsten Blaise in die Herzen der Hörer. Was für eine Stimmführung der Sopranistin ohne jede demonstrative Pseudogeste, fraulich, ja fast kindlich, von wunderbarer Innerlichkeit.
Sebastian Geyer, der für den erkrankten Bariton Thomas Mehnert kurzfristig einsprang, war kein „Ersatz“. Auch er sang nie opulent, sondern gestaltete seinen vielseitigen Part mit intelligent vornehmem Ausdruck. Kein Forcieren in exponierter Lage, immer klangschön, persönlich, dialogisch.
Auch dies ist ein Markenzeichen der Aufführungen des Philharmonischen Chores: in der Wahl der Solisten eine glückliche Hand zu haben.
Die Sinfonietta Tübingen, seit langem Instrumentalpartner des Chores, glänzte wiederum professionell. Natürlich dämpfte Stephan Beck öfter, um Solisten und Chor nicht zuzudecken. Die dynamischen Grenzen bei den Bläsern sind einfach heikler. Dafür überzeugten die Charaktere. Allein der Pauker korrespondierte immer mit dem agogisch vorgebenden Dirigenten. Die Harfe steuerte die ganz eigenen Farben bei; die Bläser füllten differenziert und die Streicher sangen förmlich. Es hieße, die Einheit des Ganzen zu atomisieren, wollte man ins Detail verkürzen. Wenn man sich als Rezensent in allem „wiederfindet“, ist dies auch für ihn das schönste Geschenk eines solch großen Abends. Wie fein, dass das Erbe Hubert Becks lebt, die Kontinuität gewahrt ist in den personalen Akzenten sensibler Nachfolger.

Das Läuten des vollen Münstergeläutes vor dem langen Beifall war ein sprechender Dank des Memento ebenso wie als Publikumsgeste für ein Hineinnehmen in die Tage der Passion bis zur Feier der Auferstehung eines neuen Ostern.



Kritik Gmünder Tagespost vom 02.04.2012


Hanna Meid

Stephan Beck dirigiert das Brahms-Requiem

       Dirigierte das ergreifende Gedenkkonzert für seinen Vater Hubert Beck – Stephan Beck.
      (Foto: Walter Laible)

Selig sind die da Leid tragen

Philharmonischer Chor singt Brahms’ Deutsches Requiem als Gedenkkonzert für Hubert Beck

Wohl selten bekam das Deutsche Requiem von Johannes Brahms eine solch tiefe Wortbedeutung wie in dem Gedenkkonzert für den Gründer und langjährigen Leiter des Philharmonischen Chores Hubert Beck am vergangenen Samstag. In ergreifender Weise interpretierten Chor, Solisten und die Sinfonietta Tübingen unter der Leitung von Stephan Beck das romantische Werk.

Das Deutsche Requiem an sich ist ein Werk von klanglicher Tiefe und kompositorischer Schönheit. In enger Anlehnung von Wort und Musik bewegt und fasziniert es die Zuhörer. In dieser Aufführung im Heilig-Kreuz-Münster schienen die Bibelzitate ihren tiefsten Sinn zu verströmen: „Selig sind, die da Leid tragen, denn sie sollen getröstet werden.“

Leicht stieg der Chor in den ersten Satz ein. Behutsam nahm Stephan Beck das langsame Tempo auf und die Stimmen folgten bis in pianissimo mit ausgezeichneter Artikulation. Sich Zeit zur Trauer lassen, fast ein Jahr nach dem plötzlichen Tod von Hubert Beck, dem Vater, Chorgründer und -leiter, klang diese Aufforderung durch den Raum.

Brahms’ Requiem ist eher eine meditative Kantate als ein der Handlung folgendes Oratorium. Wärme und Milde dominieren den subtil entwickelten Instrumentalklang. Der Chor ist führendes Element, der auch die drei Solopartien stützt. Mit dem für den erkrankten Bariton Thomas Mehner eingesprungenen Sebastian Geyer hatte Beck einen Glücksgriff getan. Mit klarer, leichter, dennoch einfühlender Stimme interpretierte der am Opernhaus Frankfurt engagierte junge Bariton die Worte des Dichters Salomon: „Herr, lehre doch mich, dass ein Ende mit mir haben muss“ und die hoffnungsfrohe Botschaft „Wir werden nicht alle entschlafen, wir werden verwandelt werden“.

Einen etwas übertrieben intensiven Ausdruck verlieh die aus Amerika stammende Sopranistin Kirsten Blaise ihrem Solo „Ihr habt nun Traurigkeit ... und euer Herz soll sich freuen“. Die klare Aussage der reinen Freude, und der große Trost, der sich nach Mühe und Arbeit einstellt, verwischte in schwacher Artikulation und einem weichen Tremolo in ihrer Stimme. Wie strahlend kamen da die Chorpassagen etwa aus dem Psalm 39, „Ich hoffe auf dich“ oder das schmeichelnde „Wie lieblich sind deine Wohnungen, Herr Zebaoth“. Herausfordernd, triumphal erklang „Tod, wo ist dein Stachel! Hölle, wo ist dein Sieg!“ Stephan Beck dirigierte mit Leidenschaft, um Ton und Ausdruck ringend und dem Vater und dem Werk geschuldeter Innigkeit. Er nahm Stimmen und Orchester zurück, um milde Sphären aufzubauen, hatte die mitunter schwierige Rhythmik fest im Griff und forderte die ganze Macht der Stimmgewalt an den leuchtenden Fortissimostellen. Sauber und einfühlsam spielten die Mitglieder der Sinfonietta Tübingen; ebenso präzise wie sanft schwebten die Bläser in ihren Solopassagen im Raum. Und dann der Schluss: „Selig sind die Toten ... dass sie ruhn von ihrer Arbeit; denn ihre Werke folgen ihnen nach.“ Leise klingt das Werk aus. Glockengeläut setzt ein, alle verharren in Stille. Erst dann erhebt sich ein lang anhaltender, dankbarer Applaus aus dem vollbesetzten Münster. Sein, Hubert Becks, Werk bleibt bestehen.


Veröffentlichung VDKC im März 2003

Eva Scheulen

Brahms Requiem - Gedenkkonzert für Hubert Beck -

Am 31.03.2012 um 20 Uhr musiziert der Philharmonische Chor unter der Leitung von Stephan Beck im Heilig-Kreuz-Münster in Schwäbisch Gmünd.


Im Gedenken an seinen im Mai 2011 verstorbenen Gründer und künstlerischen Leiter Hubert Beck führt der Philharmonische Chor Schwäbisch Gmünd im Heilig-Kreuz-Münster in Schwäbisch Gmünd „Ein deutsches Requiem“ von Johannes Brahms auf. Mit seiner Liebe zur Musik hat Kirchenmusikdirektor Hubert Beck das musikalische Leben weit über die Grenzen von Schwäbisch Gmünd hinaus geprägt. Als Beispiele für sein musikalisch prägendes Wirken und vielfältiges Engagement seien genannt:

  • Mitbegründung und langjähriges Kuratoriumsmitglied des international renommierten Festivals für europäische Kirchenmusik in Schwäbisch Gmünd.
  • 32-jährig gründete er 1967 den Philharmonischen Chor, den er über 40 Jahre leitete. Sein Ziel, anspruchsvolle chorsinfonische Werke der verschiedenen Epochen darzubieten und am kulturellen Leben der Stadt und darüber hinaus mitzuarbeiten, setzte er mit dem Chor in 134 Konzerten mit großen, geistlichen und weltlichen chorsinfonischen Werken sowie bei Konzertreisen in neun europäische Länder um.
  • Gründung der Städtischen Musikschule und deren Leitung.

Unter der Leitung von Stephan Beck würdigen am 31. März 2012 zusammen mit dem Philharmonischen Chor die Sinfonietta Tübingen, sowie mit Kirsten Blaise (Sopran) und Johannes Mooser (Bariton), die herausragende Musikerpersönlichkeit Hubert Beck.


Hubert Beck, Philharmonischer Chor 1967-2010