Kunst der Stimmgestaltung

Festival Europäische Kirchenmusik – Mendelssohns Oratorium „Elias“ große Chorsinfonik

Ein populäres Oratorium ist steter Publikumsmagnet beim Festival Europäische Kirchenmusik. Dass es damit nicht zum musikalischen Selbstläufer wird, beweist die Sinfonietta Tübingen, die, anders als der Philharmonische Chor und der Chor der Pädagogischen Hochschule Schwäbisch Gmünd, den Ansprüchen von Leiter Stephan Beck im Heilig-Kreuz-Münster nicht immer gerecht werden konnte.


Christine Bausch


„Er ist der Mozart des 19. Jahrhunderts, der hellste Musiker, der die Widersprüche der Zeit am klarsten durchschaut und zuerst versöhnt“. Mit diesen Worten bewunderte im Jahr 1840 kein Geringerer als Robert Schumann seinen Komponistenkollegen Felix Mendelssohn Bartholdy auf das Tiefste. Dabei war das großartige Oratorium „Elias“ zu dieser Zeit erst im Entstehen. Elias: das ist der strafende Prophet des Alten Testaments, der sein Amt als Hüter des Glaubens verwaltet, machtvoll und unbarmherzig. Doch Israel droht in die Hände der Baal-Priester zu fallen.

Mit einem Fluch tritt Elias vor seinen König, führt Mendelssohn direkt in das Geschehen ein, noch vor der fugierten Ouvertüre. Die Sinfonietta Tübingen erscheint hierbei als ein eher zögerlicher Klangkörper. Schwierigkeiten in Intonation und dynamischer Flexibilität deuten sich bereits an, durchziehen das ganze Werk, allen voran die unterirdische Vorstellung des Hornregisters. Ganz im Gegensatz dazu steht die Beweglichkeit und geballte Stimmkraft von Philharmonischem Chor gemeinsam mit dem Chor der Pädagogischen Hochschule Schwäbisch Gmünd. Anders als das Orchester werden die knapp 100 Sänger den hohen Anforderungen von Leiter Stephan Beck in jeder Phase des anspruchsvollen Werks gerecht. Ein bombastisches Tutti erstirbt auf den Lippen der Choristen zu einem gehauchten Pianissimo, der Sopran glänzt durch bestechende Höhe, der Bass bietet ein gesundes Fundament für die stets beweglichen Mittelstimmen. Chromatik und Dynamik bei bestem Textverständnis kennzeichnen den wild erregten Klagechor, der die Not des hungernden Volkes ausdrückt.

Flehentlich ist die Bitte nach Hilfe. Tenor Benedikt Nawrath ruft als frommer Obadjah zu Reue auf und eröffnet den Arienreigen des Solistenquintetts. Im Kirchenschiff entfaltet sich weicher, lyrischer Wohlklang, bei eher bedecktem Timbre der kultivierten Stimme. Im Kontrast dazu werden Akkordschläge zu Schreien bei „Aber der Herr sieht es nicht“, bevor der Chor verängstigt strafende Bilder von Gott malt, aber auch seine Barmherzigkeit erkennt. Mit überquellender Dramatik präsentiert sich Sopranistin Hiltrud Kuhlmann als verzweifelte Witwe. Kann man sich diese hervorragende Stimme auf jeder Opernbühne vorstellen, so erklingt sie insbesondere im gesanglichen Zusammenklang oft zu dominant-fordernd. Damit verliert im weiteren Verlauf das an altitalienische Vokalmusik erinnernde Doppelquartett „Denn er hat seinen Engeln befohlen“ genauso seine große Milde und Schlichtheit wie das eindringliche Engelsterzett „Hebe deine Augen auf“. Stimmlich überzeugend agiert Altistin Kora Pavelic, bei stets anschaulicher Textausgestaltung, mit runder Wärme und ungekünstelter Emotionalität. Anna Escala bezaubert mit einem glockenhellen Sopran. Bravourös agiert Johannes Mooser als Elias, überzeugt zu jedem Zeitpunkt, modelliert seinen vollen Bass mächtig fordernd oder sanft bittend, zerstörend oder demütig. Die Kunst seiner Stimmgestaltung durchzieht das Werk, bewegt, bereichert. Seine verhöhnenden Spottreden nach der Anrufung des Baal kontrastieren zum berührenden Arioso mit weichen Oboenklängen, zur resignativen Arie „Es ist genug“ mit sensiblem Cello-Solo und zum inbrünstigen Gebet „Herr, Gott Abrahams“. „Wehe ihm, er muss sterben“ tobt der Chor zu rasenden Orchesterfiguren, blanke Wut und Hass werden in die räumliche Weite des Heilig-Kreuz-Münsters geschleudert.

Bei aller Leidenschaft der Musik zeigt sich Dirigent Stephan Beck stets als souveräner Herr des Geschehens. Mit deutlicher Gestik lenkt er den Chor durch die Schlichtheit des Chorals „Wer bis an das Ende beharret“ zur farbigen Tonmalerei bei „Der Herr ging vorüber“ bis zur finalen Himmelfahrt des Elias. Ein tosender Schlusschor kündigt in hellem Dur die Ankunft des Messias an.


© Gmünder Tagespost 25.07.2013


Nachgetragene Erfüllung und hohes Erwarten

Mendelssohns EIias im Heilig-Kreuz-Münster, aufgeführt vom Philharmonischen Chor


KONZERT (pfa) Man muss sich die Uraufaufführung vorstellen - 1847, in der mit zweitausend Besuchern überfüllten Town Hall in Birmingham. Mendelssohn, berühmt, in England verehrt, wurde am Pult mit Jubel begrüßt. In den Tagen davor, schrieb die Times, herrschte Aufregung wie vor einem historischen Ereignis.

Die Aufführung des Philharmonischen Chors Schwäbisch Gmünd unter der Leitung von Stephan Beck im Heilig-Kreuz-Münster am Mittwoch war Höhepunkt eines Mammutprogramms mit Haydns Schöpfung, Händels Messias, Teilen von Beethovens Missa Solemnis. Musikalisches Hochgebirge.

In dieses Gipfelpanorama fügt Mendelssohn seinen Elias ein - mitreißend, fast impressionistisch vielschichtig in seinen Bezügen und deshalb auch besonders fordernd. Natürlich steht Bach Pate - bei den Chorälen, beim Kontrapunkt, bei der religiösen Symbolik. Drei stürzende Tritonusse, im einleitenden Rezitativ Unheilszeichen gegen Unglaube und verstockte Gottesferne, begleiten das Geschehen wie ein apokalyptischer Fluch.

In der Schlusskadenz jedoch erscheinen sie vollkommen verwandelt als Durchgang zur D-Dur-Klarheit des Glaubens. Es ist der Glaube eines Protestanten jüdischer Abkunft und Intellektualität. Dieser Glaube, verkündet der Chor, lehrt den Geist der Weisheit, des Verstandes, des Rats, der Erkenntnis, und der Furcht des Herrn. Das erinnert, wie das überirdische Terzett „Hebe Deine Augen auf" - an Mozarts Zauberflöte. Elias ist, wie Sarastro, ganz Mensch - „stark, eifrig, auch wohl bös und zornig", schreibt Mendelssohn.

Der Weltmensch, den Gottes Wunder im ersten Teil alttestamentarisch triumphieren lassen, ist im zweiten Teil erschöpfter Erdenbürger, der Erlösung bedürftig durch Gottes Gnade und den kommenden Christus. Elias. Die eminente Titelrolle vereinigt Anspruch und dramatische Strahlkraft der ganz großen Basspartien. Umwerfend der 27-jährige Johannes Mooser. Ein jugendlicher Elias, wild und fromm, überragend durch Statur und Ausdrucksfülle. Ein Energie Zentrum. Dass Mendelssohns Genie die gleiche Aura musikalischer Wunder auch den anderen Solisten verleiht, haben Hiltrud Kuhlmann, durch Stimmglanz und vitale Präsenz besonders beeindruckend, Anna Escala (zugleich Stimmbildnerin des Chors mit offenbar großer Wirkung) Kora Pavelic und Benedikt Nawrath überzeugend gezeigt, nicht nur bei den Soli, sondern erst Recht durch die ausnahmslos geglückte Balance in den oft berückend schönen Ensembles.

Vor allem ist der Elias ein Chorwerks par excellence. Mendelssohn kennt die englische Tradition mit dem hohen Niveau der Laienchöre und schöpft die ganze kompositorische Fülle aus. Ein Riesenanspruch. Manche Chorsätze gehen durch ihr inneres Leuchten, ihre Selbst Helligkeit, unmittelbar zu Herzen - wie klanggewordene Glaubensgewissheit und Vernunft. Der Chor ist im Elias Hauptakteur in wechselnder Rolle - Chor der Engel, Volk, Gemeinde der Gläubigen Handlungsträger. Dahinter liegt eine Eigenart und zentrale Schwierigkeit des Werks: Anders als die Passionen Bachs ist der Elias nicht als Erzählung angelegt, in die dramatisierte Szenen und kontemplatives Innehalten eingeschoben sind. Der Elias gleicht mehr einer durchkomponierten Oper. Die Akteure treiben die Geschichte voran. Der Dirigent muss gleichermaßen dem großen Bogen und zugleich den dramatischen Umbrüchen und der Vielgestaltigkeit der Situationen gerecht werden, das Feuer der Vorstellungskraft entfachen und ebenso für Klarheit und Halt sorgen.

Großartig, wie Stephan Beck den Mehrspänner temporeich und richtungssicher gelenkt hat - mit der farbenreich virtuosen Sinfonietta Tübingen, den prächtigen Solisten und dem von Anfang bis Ende in Höchstform musizierenden Philharmonischen Chor, durch den Chor der Pädagogischen Hochschule noch hörbar bereichert. Ein im vollen Münster mit Begeisterung gefeierter Höhepunkt der Europäischen Kirchenmusik in ihrem 25. Jahr.

Kirchenmusik im Münster, das möge auszusprechen erlaubt sein, ist auch Erinnerung an den Vorgänger von Stephan Beck. Wer ihn erlebt hat, kann Hubert Becks Nachklang hören - auch im Elias, der unter seiner Leitung nicht aufgeführt worden ist. Unüberhörbar freilich zeigt sich die Kunst seines Nachfolgers als gänzlich frei von jedem epigonenhaften Abschwung. Ein seltenes Glück - für beide und für Gmünd. Stephan Beck hat im Zusammenspiel von musikalischer Professionalität und musikantischer Leidenschaft seinen eigenen unverwechselbaren Ton und seine eigene Meisterschaft. Es war Zeit für diesen Elias. Im reichen Schatz der Werke, die das Münster gehört hat, steht er nun für beides gleichermaßen, für nachgetragene Erfüllung und hohes Erwarten.


© Remszeitung 25.07.2013