Am Ende gelassene Heiterkeit
Ulrich Sinn sprach beim Philharmonischen Chor über den Orpheus-Mythos

Ulrich Sinn erläutert die mythologischen Hintergründe
von Glucks Oper "Orpheus und Eurydike (Foto: bef)
Ein hochinteressantes Projekt wagt der Philharmonische Chor Schwäbisch Gmünd unter der Leitung von Stephan Beck am 20. Juli 2016 im Rahmen der Europäischen Kirchenmusik.
Er wird im Heilig-Kreuz-Münster „halbszenisch“ Christoph Willibald Glucks Oper „Orpheus und Eurydike“ aufführen. Die Konzeption dazu wurde in Würzburg von Regisseur Bernhard Stengele in Zusammenarbeit mit dem Archäologen Prof. Dr. Ulrich Sinn entwickelt. Letzterer kam nun nach Gmünd, um den Mitgliedern des Chores die Konzeption und den Mythos „Orpheus“ zu erläutern.
Professor Dr. Sinn, bis 2011 Inhaber des Lehrstuhls für Klassische Archäologie an der Universität Würzburg, zeigte zunächst anhand von anschaulichen Fundstücken die Entstehung des Mythos, der sich bis ins 6. Jahrhundert v. Chr. zurückverfolgen lässt und wohl in Thrakien seine Ursprünge hat. In den folgenden Jahrhunderten gab es zahlreiche Übernahmen, Veränderungen und Deutungen: So erklärt Pindar Orpheus zum „Vater des Gesangs“, bei Platon dagegen ist er ein „weichlicher Spieler“. Bei den Römern setzte sich die Auffassung durch, dass er in beispielhafter Weise für den Trost steht, den nur die Musik spenden kann.
Prof. Sinn wies nach, dass der Mythos kein Entrinnen aus dem Reich des Todes kennt; Orpheus wird es lediglich ermöglicht, in angemessener Weise Abschied von seiner Gattin Eurydike zu nehmen bzw. Trost zu finden.
In der Geschichte der Oper gehört Orpheus zu den ältesten und häufigsten Motiven: Seit 1600 erfährt der Stoff zahlreiche Vertonungen, die mit Glucks Oper 1762 einen Höhepunkt erreicht. Diese sogenannte Wiener Fassung in Italienischer Sprache wird auch die Grundlage sein für die Aufführung bei der EKM im Münster. Am Schluss wird eine Eurydike-Arie aus der „Pariser Fassung“ eingefügt, die das Ende verändert. Ausführlich und einleuchtend begründete der Archäologe seine Auffassung, dass das „Happy End“, das Gluck ursprünglich als Zugeständnis an den Publikumsgeschmack vorgesehen hatte, nicht gerechtfertigt sei. In der Version, die in Gmünd zu sehen und zu hören sein wird, bleibt Eurydike zurück und es herrscht trotzdem am Schluss gelassene Heiterkeit: Orpheus geht zurück in der Gewissheit, dass seine Gattin gut aufgehoben ist und dass er ihr einst nachfolgen wird (übrigens früher als erwartet: Thrakische Frauen töten und zerstückeln ihn, weil er ihre Liebe zurückweist. Immerhin treibt sein Kopf übers Mittelmeer und verbreitet „weltweit“ die Liebe zur Musik…).
Prof. Sinn nennt die Oper „eine musikalische Meditation, die tatsächlich besser in die Kirche passt als ins Theater.“ Wie er freuen sich die Mitglieder des Philharmonischen Chores auf das Projekt, auch wenn sie den italienischen Text nun auswendig lernen müssen…
Artikel in der Remszeitung Samstag, 27.02.2016, Bernhard Fauser