Christoph Willibald Gluck, Orfeo ed Euridice
Bericht Rems Zeitung vom 22.07.2016

Bild hs, Remszeitung vom 22.07.2016
Was für ein beeindruckendes Projekt
Festival Europäische Kirchenmusik: Glucks „Orfeo ed Euridice“ mit dem Philharmonischen Chor und dem Chor der PH
Szenische Aufführung in der Verantwortung von Leitern der Schwäbisch Gmünder Festivalchöre sind den EKM-Dauergästen sehr wohl bekannt. Dieses Mal war es „Orfeo ed Euridce“ im Münster.
Konzert (-ry).
In den Jahren zuvor: Zwei Mal Honneger, „Johanna auf dem Scheiterhaufen“ (collegium vocale/Theater der Stadt Aalen 1996), „König David“ (Motettenchor 2006), „Boris Godunow“ (collegium vocale 2005), die vielen Kindermusicals. Am Mittwochabend: „Orpheus und Eurydike“ von Christoph Willibald Gluck, szenisch erarbeitet vom Mainfranken-Theater Würzburg, mit dem Philharmonischen Chor und dem PH-Chor, der Tübinger Sinfonietta und den herausragenden Solistinnen Sonja Koppelhuber, Alt (Orpheus), Silke Evers, Sopran (Eurydike) und Anna Escala, Sopran (Amor) unter der Leitung von Stephan Beck.
Die Lichtregie hatten Musikstudenten der PH: Tiberius Kocsis, Simon Popp und Jens Schauz. Die künstlerische Leitung der Würzburger Opernfassung hatte Prof. Dr. Ulrich Sinn, Raum und Kostüme verantwortete Marianne Hollenstein, die szenische Einrichtung lag in den Händen von Bernhard Stengele.
Ein Verzicht auf Vordergründigkeit
Allein diese Liste macht deutlich, wie komplex, engagiert und professionell die etwa 100-minütige Aufführung die große Besucherzahl in ihren Bann zog.
Bereits im Künstlergespräch hatte Festivalintendant Klaus Stemmler mit Prof. Sinn einen großen Horizont aufgerissen, der neben den vielen Arbeitsfeldern des Würzburger Emeritus
umfangreiche Aspekte zum Mythos des Orpheus, zu Kultur und Geistesgeschichte und zu Intentionen und Bedingungen der Würzburger Fassung von 2011/12 beisteuerte.
Die Akribie Sinns in der wunderbaren Kooperation mit Stephan Beck darf als Glücksfall gewertet werden, weshalb Sinn die „semiszenische“ Realisation in „Szenische“
im Sinne künstlerischer Bedeutung korrigierte. Im Telegrammstiel: Der Chor sang die italienische Fassung auswendig(!) und konnte so die Szene auch gestisch-mimisch überzeugend
ausfüllen. Die Charaktere der diversen Chorgruppen entsprachen ganz der Dramatik des Geschehens, korrespondierten so den Gemütszuständen der solistischen Hauptrollen.
Der „Raum“ (Podium mit Orchester, an verschiedenen Plätzen singenden Solistinnen und unterschiedlich agierenden Chorgruppen) war identisch mit den Handlungsfeldern.
Die gekonnte Ausleuchtung und die sparsame, umso wirkungsvollere Textprojektion auf eine Säule im Altarraum taten ein Übriges, sparsam, zuweilen diskret, das Geschehen umzusetzen.
Das Engagement aller Akteure kann nur mit Superlativen kommentiert werden.
Zu Recht war darauf verwiesen worden, dass das Libretto von Ranieri de‘ Calzabigi und die kongeniale Musik Glucks das Ganze innerlich fokussieren und damit auf jede Vordergründigkeit
verzichten, die zumeist vom Publikum erwartet wird. Die Richtigkeit dieser Intention spiegelte sich in absoluter Stille des Publikums, das begeistert mitging.
Was für Aufführende! Stephan Beck leitete souverän, begleitete hellwach, ließ die Musik in allen Facetten blühen; die Sinfonietta Tübingen (der ständige Begleiter des Philharmonischen Chores
seit Jahren, was sich in puncto Qualität einfach auszahlt) meisterte ihren Part hervorragend (Streicher, Bläser, Pauken und Harfe), aus einem Guss, dynamisch und ästhetisch berückend.
So war der Boden bereitet für die beeindruckende Realisation. Und die Solistinnen – überaus eindrucksvoll, in allen Belangen ausgezeichnet. Gegen die permanente Eruption am Dienstagabend
setzten Sonja Koppelhuber, Silke Evers und die in der Stauferstadt bestens eingeführte Anna Escala nicht bloßen Schönklang, sondern belebte Lyrik und sublime Dramatik, gaben damit dem
Geschehen in seiner Emotionalität beredten Ausdruck. Das beglückte und ging einfach unter die Haut.
Was für ein Projekt, ein hoher Aufwand bei eindrücklichstem Ergebnis. Das Publikum, (darunter Weihbischof Dr. Johannes Kreidler) bedachte die Ausführenden mit langem herzlichen Beifall.
Summa cum laude!
Bericht Gmünder Tagespost vom 22.07.2016
Bravo-Rufe für Gluck-Oper

Bild: Hartmut Hienzsch aus Gmünder Tagespost
Ein vorzüglicher Chor und ausgezeichnete Solisten ernten lebhaften Beifall für „Orpheus und Eurydike“
Mit einer halbszenischen Aufführung wurde am Mittwochabend im Gmünder Münster beim Festival für Europäische Kirchenmusik die Gluck-Oper „Orpheus und Eurydike“ von 1762 präsentiert. Das Publikum reagierte nach zwei Stunden lieblicher Musik begeistert.
Kritik von Rainer Wiese
Die Kirche dunkel, Die Sinfonietta Tübingen, das Orchester hat auf der Bühne vor dem Altar Platz genommen. Stephan Beck, der Dirigent steht vor dem Orchester. Der Chor zieht von hinten auf die Bühne. Die Sängerinnen und Sänger des Philharmonischen Chores und von der Pädagogischen Hochschule Gmünd tragen schwarze Capes auf dem Rücken vor weißen Blusen und Hemden. Die heitere Ouvertüre: Eurydike steht strahlend auf dem Podest. Um sie tanzen Choristen in gemessener Exaltiertheit. Alles ist in hellem Licht. Plötzlich erstarrt Eurydike, gespielt und gesungen von Silke Evers. Die Figur wankt, sie sinkt in sich zusammen, Orpheus ist zur Stelle, hält seine Geliebte. Aber Eurydike stirbt. Der Chor streckt seine Capes zu schwarzen Umhängen und trägt bis vor die letzte Szene Trauer.
Eurydike stirbt zwei Mal. Ihr erster Tod ist der Start des langen Weges ihres Partners Orpheus in die Unterwelt bis ins Elysium, um sie zurückzuholen in die reale Welt. Dann kann Orpheus das schikanöse Göttergebot nicht einhalten, seine wiederbelebte Eurydike auf dem Weg zurück in die Welt keinesfalls anzusehen, und sie stirbt noch einmal, jetzt aber mit der Zuversicht, dass es im Elysium unter all den unirdisch gechillten Geschöpfen doch auch gut sein ist, mit oder ohne Orpheus. Das Ende ist offen.
Gluck und sein Stückeschreiber Calzabigi haben der Eurydike für diese Erkenntnis eine zusätzliche Arie in die „Pariser Fassung“ von 1774 geschrieben und diese Arie mit Chorbegleitung war das beste musikalische Stück des Abends, kompositorisch und in der dichten grandiosen Darbietung durch Silke Evers.
Unmittelbar davor singt Orpheus seine Klage über den neuerlichen Verlust der Eurydike, jene schmerzselige Arie, die es so oft als „Single“ zu hören gibt, in Gmünd nicht vom Countertenor, sondern von der Altistin Sonja Koppelhuber gesungen. Orpheus ist die Hauptfigur des Stückes und in der Gmünder Aufführung sehr gut besetzt. Sonja Koppelhuber hat einen gradlinigen, großvolumigen alt, den sie unprätentiös führt. Sie hält sich bis in die Triller an ds Konzept der Inszenierung, die rührende Geschichte unsentimental und unter Vermeidung von Kitsch zu erzählen. Sie singt und spielt den Part nah am Text und Bedeutung. Trotz der Bemühung von Maske und Friseur gelingt es aber kaum, die Frau in der Männerrolle vergessen zu lassen. Was der Freude keinen Abbruch tut, Sonja Koppelhuber zu hören.
Auf dem Weg zwischen den beiden Toden hörte das Publikum liebliche Musik, sorgfältig, solide, angemessen dargebracht vom Orchester und dem auswendig singenden Chor. Der hat in den ersten beiden Akten reichlich zu tun. Er kommuniziert mit Orpheus in dessen Verzweiflung, ermunternt, warnt, begleitet ihn auf dem Weg in den Hades. Das Ensemble singt vorzüglich, bleibt meist in mittlerer, ausgewogener Lautstärke, artikuliert auch im seltenen Fortissimo und im häufigeren Piano vorbildlich – den Text nicht anders als die musikalischen Nuancen. Offenbar wurde intensiv einstudiert, Stephan Beck kann mit leichter Hand vom Cembalo aus führen. In der dritten Solistenrolle und gar nicht nebenrollenmäßig war die großartige Ana Escala mit ihrem idealen Sopran zu hören, als Amor, die Orpheus göttliche Botschaften zusingt und ihn schließlich am Freitod hindern sucht. Ihre Arien waren ein musikalischer wie dramatischer Höhepunkt der Inszenierung, die auf der Dramaturgie aufbaut, die Prof. Ulrich Sinn für ein Würzburger Orpheus-Projekt entwickelt hat. Bernhard Stengele hat die Szenen für das Münster eingerichtet, Marianne Hollenstein war verantwortlich für „Raum und Kostüme“. Die Inszenierung arbeitete mit sehr viel Schreitbewegungen des Chores. In vielen der aktiv ausgeleuchteten Szenen agieren einige Sängerinnen und Sänger ganz vorne auf der erhöhten Bühne, mitsingend, und nach strenger Vorgabe hin- und wiederwandelnd.
Das Publikum ließ die Musik lange nachklingen, bevor ein lebhafter Beifall mit etlichen, andauernden Bravo-Rufen ausbrach.