Unglaublich viele beglückende Stunden

Artikel Remszeigung 09.05.2017, Peter Skobowsky

Der Philharmonische Chor Schwäbisch Gmünd feierte mit seinen Zuhörern und Freunden das 50-jährige Bestehen

Mit einem Festakt feierte der Philharmonische Chor Schwäbisch Gmünd sein 50-jähriges Bestehen. Es versteht sich von selbst, dass dies im Rahmen eines beispielhaften Konzerts geschah.



KONZERT(-ry).Einige leer gebliebene Reihen im Peter-Parler-Saal des Stadtgarten bestätigten den Festredner Rudolf Böhmler hinsichtlich gravierender Veränderungen beim Publikumszuspruch. Das Programm trug die dezidierte Handschrift des Chorleiters Stephan Beck mit anspruchvollen Werken im Kontext zu Gewachsenem in 50 Jahren.
Christine Lerchenmüller brachte dies in der Begrüßung beredt zum Ausdruck. In der ihr eigenen charmanten Stringenz hieß sie Publikum und Ehrengäste willkommen und strich besonders die Verbindung zu Politik, Förderern, Sponsoren, Kirchen, EKM, PH, Presse und Publikum heraus. Der Festabend hatte ganz natürlich etwas Familiäres, das sich beim schließenden Feiern im Foyer fortsetzte.

Stephan Beck und sein Chor spannten folgerichtig einen großen Bogen vom Sich-selbst-Feiern, also weltlicher und geistlicher Musik, zu verinnerlichter Tradition. Der Anspruch war erheblich, vielleicht weniger scheinend in der „Akademische(n) Festouvertüre“ von Johannes Brahms mit ihren Anleihen beim Repertoire der studentischen Burschenschaften oder dem einstimmigen „Gaudeamus igitur“ („Lasst uns also fröhlich sein“) als musikalischem Gipfelsturm; eindeutig erkennbar aber bei des Komponisten „Triumphlied“ in der erst 2013 entdeckten „Bremer Fassung“: exponiert in Doppelchörigkeit ein jubelndes „Halleluja“.
Die Polarität des in allen Belangen strahlenden Philharmonischen Chores und einer blendend agierenden Tübinger Sinfonietta bescherte ein mehr als beeindruckendes Hörerlebnis. Ein sonst immer wieder zu beklagendes Gefälle von Frauen- und Männerstimmen gab es nicht. Klangpräsenz und dynamische Flexibilität waren das durchgehende Markenzeichen. Die Größe und Qualität der Sinfonietta taten ein Übriges. In allen Gattungen war das hervorragende Orchester solistisch wie im Plenum bestechend: klar differenzierte Streicher, tolle Bläser (klangvolles Holz, pointiertes Blech mit besten Hörnern) und reiches Schlagwerk – ein hörbar gewachsenes Spitzenensemble.

Wer weiß schon, dass Otto Nicolai auch Kirchenmusiker (Preußische Gesandtschaftskapelle in Rom) war? Seine berühmte Oper „Die lustigen Weiber von Windsor“ nach Shakespeares „Falstaff“ war mit der Ballade der Frau Reich ein gelungener Akzent, setzt die Dame doch im Opernfinale dem permanent trunkenen und beleibten Ritter regelrecht die Hörner auf.
Damit sind wir bei einem weiteren Markenzeichen des Philharmonischen Chors: Ob Gründungsvater Hubert oder nachfolgender Sohn Stephan als dessen Leiter – beide haben ständig mit ausgezeichneten Solisten zusammengearbeitet. In den Reigen reihten sich auch die Solisten des Festabends ein: Diana Haller glänzte mit fulminantem Alt nicht nur als Frau Reich, sondern auch als „alte Frau aus dem Volke“ in „Die erste Walpurgisnacht“ von Felix Mendelssohn Bartholdy nach Goethes gleichnamiger Dichtung. Tragend und voluminös, dynamisch differenziert und artikuliert, begeisterte sie mit ansteckender Ausstrahlung.
Ewandro Stenzowski (Tenor) stand ihr in puncto Präsenz in nichts nach. Als heldischer Lyriker gab er dem Druiden gültige Gestalt, problemlos in exponierter Höhe. Nur die Phonetik (Vokal „e“) bedarf der Korrektur.
André Morsch (Charakterbariton) setzte noch eins drauf: Der „geborene“ Dramatiker brillierte halbszenisch überaus gekonnt, mühelos alle Anforderungen durchmessend, stimmtechnisch wie ästhetisch gleichermaßen vollkommen!

Das Publikum der Zukunft – eine Aufgabe für den Chor


Über Text und Szenerie der Ballade Goethes mag man streiten – für den Dichterfürsten ein Spiegel seiner eigenen defizitär aufklärerischen Religiosität –, sprachlich ist sie exzellent. Die dramatischen Vorgaben zwischen den Heiden des Harzes und ihren christlichen Gegnern sind eine Steilvorlage für Szene und musikalische Umsetzung, die das Genie Felix Mendelssohn von einer anderen Seite offenbart. Auch er war ein begnadeter Kirchenmusiker, dessen Potenz eigentlich erst in den letzten Jahren vollends gewürdigt wurde. In Goethes Ballade gelingt ihm eine unvergleichlich musikalische Einlösung der Gegensätze zwischen Soli und Chor. Ob es einen gruselt oder man mit Distanz hört - es ist ein gelungenes Musikdrama, das einem qualifizierten Chor alle Möglichkeiten zu vollendeter Interpretation bietet. Eine schöne Geste war auch die Mitwirkung von Anna Escala, der Stimmbildnerin des Philharmonischen Chores, im Sopran.

Stephan Beck dirigierte wie gewohnt in der ihm eigenen Präzision: schlagtechnisch präzise, dynamisch differenzierend und gestisch einfach schön – für den Rezensenten mit Genugtuung vermerkt, weil es Dirigenten-Kollegen gibt, bei deren Eigenwilligkeit man meint, sie machten mehr oder weniger musikalische Bewegungen zu dem völlig eigenständigen Agieren der Ausführenden.
Es ist an der Zeit, dass die Diözese Rottenburg-Stuttgart Stephan Beck den Titel „Kirchenmusikdirektor“ verleiht. Den Vergleich mit anderen Titelträgern hat er - weiß Gott - nicht zu scheuen.

Dr. h.c. Rudolf Böhmler, Gründungsmitglied und -vorsitzender, bot in seinen sehr persönlich gehaltenen Ausführungen einen bedenkenswerten Rückblick und Gedanken für die Zukunft des Chores. Er umriss die auch mit Argwohn bedachten Anfänge, den erstaunlich schnellen und souveränen Weg zu einem Klangkörper mit damaligem Alleinstellungsmerkmal, die Beziehungen zu PH, Kirchen und EKM, die wachsende Kompetenz und Anerkennung über die Region hinaus und beleuchtete die Tourneen.
Was wäre das ganze Unternehmen ohne seine mutigen Leiter: den verstorbenen Hubert Beck und seinen Sohn Stephan, der als wahrer Glücksfall sein Talent einsetzt und das Erbe kreativ pflegt - Geschenk und Motivation für den Chor. Gerda Beck war eine ideale Förderin des Ganzen, der Böhmler mit größtem Respekt dankte.
Ehrlicherweise wurde auch das seinerzeit beschädigte Verhältnis zur Philharmonie thematisiert. Der Festredner machte sich zum Sprecher vieler Chor- und Orchestermitglieder, die eine neu auflebende Zusammenarbeit sehnlichst wünschen. Der Rezensent sieht es ebenso. Impulse für die weitere Arbeit rundeten die Rede ab: das notwendige Bedenken einer semiprofessionellen Ausrichtung der nichtmusikalischen Arbeit, die bei allem Respekt ehrenamtlichen Einsatz auf Dauer überfordern müsste, und die Gewinnung von nachwachsenden Hörerschichten in schwieriger werdender Gegenwart und Zukunft.

Auch der große Dank an den unermüdlichen Freundeskreis um Martin Grübl durfte nicht fehlen!

Schließlich erwiesen Landrat Klaus Pavel und OB Richard Arnold „im Duett“ ihre Reverenz in launiger Kurzweil. So ging ein mit viel Beifall und Dank bedachter gelungener Geburtstagsabend zu Ende. Auf weitere 50 Jahre oder „ad multos (viele) annos!


 



Jubiläum 2017-05-06 Jubiläum 2017-05-06