Große Aufgabe bravourös gemeistert

Bericht Remszeitung 27.07.2019


Festival Europäische Kirchenmusik: Philharmonischer Chor und Chor der Pädagogischen Hochschule im Münster


EKM-Konzert, Johan-Nepomuk Hummel



2019 wird als das Jahr der Premieren in die Geschichte der EKM eingehen. Am Donnerstag hatten der Philharmonische und der Chor der Pädagogischen Hochschule samt dem traditionellen Orchester, der Sinfonietta Tübingen, ihren großen Tag.


Von Peter Skobowsky

Konzert:Das instruktive Künstlergespräch mit KMD Stephan Beck und Kulturbüro-Chef Ralph Häcker ergab eine ganze Reihe von Details zum Abend selbst, den Proben, der wieder genesenen Sopransolistin …


Hermann Max (*1941), der „legendäre“ Maestro der Rheinischen Kantorei/Das Kleine Konzert, der am 9. August 2014 sein EKM-Debüt hatte, ist seit langem bekannt für seine akribische Forscherarbeit. Und so hatte er 2007 (!) in der British Library London die Noten von Johann Nepomuk Hummels bis dato unbekanntem Oratorium „Der Durchzug durchs Rote Meer“ wiederentdeckt. Inzwischen wurde das 50-minütige Werk mehrmals aufgeführt. Die Noten sind noch nicht verlegt, sodass die Aufführenden sie gegen Gebühr von Max erstehen konnten. Schwäbisch Gmünds KMD Stephan Beck ist also neben Max die Pioniertat zu danken, dass das EKM-Publikum in den Genuss dieser außergewöhnlichen Premiere kam.


Beck hatte mit dem Kyrie-Fragment KV 332 von Wolfgang Amadeus Mozart, ergänzt von Abbé Maximilian Stadler auf Bitten Constanzes, sowie mit der SopranArie „Quel nocchier, che in gran procella“ aus Mozarts geistlichem Oratorium KV 118, „Betulia liberata“ („Das befreite Bethulien“), zwei Werke gefunden, die von der Tonart-Verwandtschaft als auch der Art nach gut in das Konzept der Aufführung passten. Ein Abend also der erstaunlichen Zusammenhänge: Mozart als 22- oder 15-jähriger Komponist, Stadler und Hummel als dessen Schüler, Letzterer als Haydns Nachfolger beim Fürsten Esterházy mit der Tradition des Oratoriums bestens vertraut.


Sodann die Stoffe: der Kampf der Judith gegen die Assyrer (wie heute auch ein hartes Ringen um das Wasser) oder eben der Kampf der Israeliten um die Freilassung aus Ägypten (Exodus 6–15) mit aller dazu gehörenden Dramatik (die zehn Plagen „Blut, Frösche, Stechmücken, Stechfliegen, Viehpest, Schwarze Blattern, Hagel, Heuschrecken, Finsternis, Tod aller Erstgeborenen“, die das Herz des Pharao nur verhärten); dann der Durchzug, die Angst der Israeliten vor den nachfolgenden Ägyptern, schließlich die endgültige Errettung).


Hummel verteilt das Geschehen auf Solisten und Chor. Das Instrumentarium (ohne Posaunen, nur eine Flöte, aber mit Harfe und Gitarre) ist höchst bemerkenswert und farbig. Der Chor hat eine dramatisch anspruchsvolle Aufgabe gegen oder mit den Solisten; die Steigerung im Schlussteil mit Fuge (auch deren Umkehrung, Parallelitäten) – ein unter die Haut gehendes In- und Gegeneinander mit immenser Steigerung. Dennoch bleibt alles gerafft, keine Längen, keine Sekunde „Leerlauf“. Toll, wie Hummel die Solisten einsetzt: in Rollen (Mose, Aaron, Mirjam, ein Israelit, eine Israelitin, der Würgeengel), personal charakteristisch in allen Facetten, in Tonumfang und Dynamik exponiert …


Die Rezitative (Ablauf des Geschehens) ließ Stephan Beck nur vom Continuo des Hammerklaviers (aus dem Fundus von Peter Kranefoed) begleiten, ohne Violoncello oder Kontrabass. Wiederum übernahm diese Aufgabe Becks Studienkollege, der Besigheimer Bezirkskantor Tobias Horn, in Schwäbisch Gmünd nicht nur bestens eingeführt, sondern die Generalbassbegleitung überaus farbig improvisiert!


Für das Orchester wie die meisten anderen Ausführenden bedeutete das Werk Neuland. Gerade darin bestand die Herausforderung bei größtmöglichem Einsatz, bravourös gemeistert! Pauken, große Trommel, exponierte Hörner oder Trompeten (in den Schlusstakten mit halsbrecherischen Triolen, einer Siegesfanfare gleich), Gitarre und Harfe, erstklassige Bläser, Streicher und Schlaginstrumente– alles in einer sagenhaften Farbigkeit und Präzision.


Und das Solistenquartett! Robyn Allegra Parton als erste Sopranistin mit tollem Timbre, Koloraturleichtigkeit bis zum es3, in der Höhe betörend durch lyrische Ligaturen ohne jeden Druck, sehr ausdrucksvoll – einfach umwerfend!


Anna Escala, die langjährige Stimmbildnerin und Solistin des Philharmonischen Chores (zuletzt in Bachs Weihnachtsoratorium brillierend), setzte einen gelungen glänzenden Kontrast zu Frau Parton. Moritz Kallenberg mit seinem strahlend schönen Heldentenor und – quasi im Dauereinsatz – André Morsch als Charakterbariton mit über zwei Oktaven Stimmumfang, allen Nuancen ästhetisch gerecht werdend – das war Höchstleistung, stets frisch, authentisch, nie bloß routiniert!


Der Philharmonische Chor und der Chor der Pädagogischen Hochschule hatten ihren großen Aufritt: bestens disponiert, in allen Belangen dramatisch bestechend! Nur so konnte die Aufführung als Gesamtkunstwerk gelingen. Stephan Becks profundes Dirigat tat wie selbstverständlich sein Übriges zur differenzierten Präsentation der drei vorgetragenen Werke. Schwäbisch Gmünd kann sich „von“ schreiben, gleich drei „hauseigene“ Festivalchöre in seinen Mauern zu wissen.


Langer Beifall dankte den Akteuren für einen unvergesslichen und nachhaltig wirkenden Abend.





Bericht Gmünder Tagespost 27.07.2019

 


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