Spannung bis zum Bersten
Kritik Remszeitung 10.12.2019
KonzertPhilharmonische Chor bringt Georg Friedrich Händels „Messias“ im voll besetzten Heilig-Kreuz-Münster zu Gehör. Von Peter Skobowsky
Wie schön, dass das Heilig-Kreuz-Münster voll besetzt war: Die Menschen strömten nur so in das Gotteshaus. Dort brachte der Philharmonische Chor Georg Friedrich Händels mit KMD Stephan Beck „Messias“ zu Gehör. Zugleich wurde das zehnjährige Jubiläum des Dirigenten gefeiert.
Das wie immer anspruchsvolle Programmheft enthielt eine ausgezeichnete Einführung durch Bernhard Fauser, die alle Facetten von Werk und Uraufführung in Dublin umrissen.
Inhaltlich ist der „Messias“ mit seinen Texten der Prophetie des Alten Testaments bis zur Apokalypse des Johannes ein geradezu gewaltiger Gang durch die ganze Heilsgeschichte. Davon und der genialen Vertonung durch Händel ist man stets aufs Neue berührt. Kein Wunder, hatte doch der Komponist das Ganze in nur drei Wochen wie im Sog einer Privatoffenbarung komponiert. Denkt man an Beethovens Reverenz, kann man nur staunen, mit welch einfachen Mitteln er so Großes geschaffen hat. In der Konzentration des Wesentlichen ist auch die Einstimmigkeit von beeindruckender Wirkung.
Dass Stephan Beck mit der Sinfonietta Tübingen und seinem Studienkollegen Tobias Horn am Orgelpositiv seit Jahren den Instrumentalpart bestreitet, zahlt sich aus. Noch nie hat der Rezensent die Sinfonietta derart souverän und kompetent erlebt. Besser kann man nicht begleiten: dezidiert, nie aber die Soli oder der Chor zudeckend!
Die Konzentration durch Kürzungen ist psychologisch sinnvoll, wenngleich die fehlenden Arien (Bassarie Nr. 38, „Warum denn rasen und toben die Heiden“, und die Tenorarie Nr. 41 vor dem „Halleluja“: „Du zerschlägst sie mit dem eisernen Szepter“) verschmerzt werden mussten. Die Stringenz der Aufführung lag in der bestechenden Dramatik von Text und Musik.
Es mag dahingestellt bleiben, ob die „historisch informierte“ Praxis der Punktierungszäsuren in der Ouvertüre dem melodischen Bogen entgegenstehen oder nicht, in deren Anschluss überzeugten vor allem die textbezogen behutsamen Tempi. So hatten die ersten beiden Tenorsoli („Tröste dich, mein Volk“ und die Arie „Alle Tale macht hoch erhaben“) Beispiel gebende Qualität hinsichtlich ihrer überzeugenden Textbetrachtung. Überhaupt bestachen alle Soli durch hellwach intelligente Gestaltung mit den jeweils charakteristischen Ausdrucksmöglichkeiten. Wieder einmal hatte Stephan Beck eine glückliche Hand bei der Auswahl seiner Solisten. Die Sopranistin Anna Escala, ständige Stimmbildnerin des PhilChors, ist noch seit den letzten Aufführungen in bester Erinnerung (etwa als Engel in Bachs „Weihnachtsoratorium“, von der Orgelempore aus gesungen). Die Mezzosopranistin Solgerd Isalv gestaltete zwischen Lyrik und zupackender Vollfunktion ihren Part stets spannend. Der lyrische Tenor Martin Platz bestach durch mitreißende Deutung in allen Belangen, mit bemerkenswertem Ebenmaß, ohne je zu forcieren. Und der Charakter-Bassbariton Andrew Bogard glänzte mit prächtigem Legato und gab so auch der Dramatik gültige Gestalt.
Der Philharmonische Chor heischte allein dadurch Respekt, dass er die ganze Aufführung stehend zu bewältigen hatte. Es bereitete eitel Freude, wie er den Intentionen des Dirigenten präzis folgte, dynamisch wie selbstverständlich mitging und so den Glanz des Ganzen wesentlich und dialogisch garantierte. Stephan Beck reizte die Höhepunkte vollends aus. Wo hat man je die Schlüsse (nach Generalpausen) derart intensiv ausgelotet: Spannung bis zum Bersten! Es bleibt schade, dass die heikle Münsterakustik in Pseudoechos oder Verwischungen nicht die letzte Ergebnisgüte zuließ. Dennoch konnte man sich der inneren Dramatik nie entziehen, der Funke sprang permanent über. Die große Hörergemeinde hielt die Spannung in Stille durch – auch ein Kompliment wert.
Die Sinfonietta mit Konzertmeister Thomas Haug, der Solotrompeter Christian Nägele sowie der Cellist David Raiser mit dem Orgelcontinuo von Tobias Horn waren die Garanten jener Differenzierung, die erst das vollendete Musizieren ermöglichte.
Die Zugabe war zu erwarten, zumal sie im Gegensatz zur anderen stillen Kirchenjahrzeit, der österlichen Bußzeit, fehlt, im Advent dagegen liturgisch in der Freude auf das Fest der Geburt Jesu den Jubel vorausahnt: das „Große Halleluja“ in der Wiederholung, diesmal zusammen mit dem Solistenquartett.
Weiße Rosen signalisierten den Dank an die Solisten – durch langen Beifall der begeisterten Hörergemeinde versinnbildlicht.
Man kann nach der denkwürdigen Aufführung von Johann Nepomuks Oratorium „Der Durchzug durchs Rote Meer“ bei der diesjährigen EKM nur dankbar sein für das großartige Weihnachtsgeschenk der Ausführenden unter ihrem quirlig agilen Dirigenten.
Kritik Günder Tagespost 02.05.2018